Von Markus Tillmann
Februar 2024
Februar 2024
Der (anthropogene) Klimawandel stellt die Literatur vor eine große Herausforderung: Wie lässt sich eine derartig komplexe, globale und abstrakte Thematik fiktional erfassen? Welche neuen Narrative und Schreibweisen bildet die Gegenwartsliteratur aus, um ein kaum fassbares Phänomen wie den Klimawandel (sowie seine Ursachen und seine Folgewirkungen) im für Erzählungen charakteristischen Wechselspiel zwischen Weltenbau und Figurenhandlung anschaulich zu machen?
„Erzählerisch ist die Klimakrise […] denkbar schwierig zu fassen“, schreiben Samira El Ouassil und Friedemann Karig in ihrem Buch Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien. Wie Geschichten unser Leben bestimmen. Denn: „Sie [die Klimakrise] ist menschengemacht, aber kollektiv, nicht die Schuld eines Bösewichts oder einer kriminellen Bande, sondern begründet in einer destruktiven Hegemonie des Menschen über die Natur. Keine Verirrung einer kranken Zeit, sondern über Jahrhunderte gewachsen.“ (El Ouassil/Karig 2023, S. 399.) Damit ist der Literatur bei der Beschreibung des Klimawandels zwangsläufig jegliche Grundlage entzogen, um eine spannende Erzählung mit Helden und ihren Antagonisten zu entwerfen. Lösen lässt sich dieses Problem, so El Ouassil und Karig, „auf jeden Fall nur kollektiv. Als glaubhafte Helden taugen am ehesten die Agenten positiver gesellschaftlicher Kipppunkte hin zu einer nachhaltigeren Welt (Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Aktivistinnen).“ (Ebd., S. 400) Wie eine solche wissenschaftlich fundierte, kollektivistische und zugleich aktivistisch geprägte Erzählweise aussehen könnte, zeigt u.a. der Roman Das Ministerium für die Zukunft (erschienen im Original 2020) des amerikanischen Autors Kim Stanley Robinson.
Robinsons Romane und Erzählungen sind schon seit Anbeginn seiner schriftstellerischen Karriere immer wieder davon geprägt, die Auswirkungen des Klimawandels zu schildern: Dergestalt beschreibt er in seiner sogenannten Orange Country-Trilogie, die aus den Romanen Das Wilde Ufer (1984), Goldküste (1988) und Pazifische Grenze (1990) besteht, mögliche Zukünfte des Staates Kalifornien, die von einer post-apokalyptischen bzw. dystopischen bis hin zu einer utopischen Entwicklung reichen. Waren Robinsons frühe Werke noch von einer konventionelleren Schreibweise geprägt, hat er in den letzten Jahren eine ganz einzigartige und neuartige Form der literarischen Beschreibung des Klimawandel entwickelt: In beiden Romanen, sowohl in New York 2140 (erschienen im Original 2017) als auch besonders in Das Ministerium für die Zukunft entwirft Robinson ein vielstimmiges Textgeflecht, das aus einer großen Anzahl an Erzählperspektiven und Schreibweisen besteht. Dergestalt vermengt Robinson in Das Ministerium für die Zukunft Wissen und Literatur, um viele Sichtweisen und Sachinformationen aufzeigen zu können: Tragende Hauptfiguren des Romans sind sowohl Mary Murphy, Leiterin des sogenannten Ministeriums für die Zukunft, das 2025 von den Vereinten Nationen in Zürich gegründet wird, als auch der Entwicklungshelfer Frank May, einziger Überlebender einer Hitzewelle in Indien. Hinzu treten im Laufe der Handlung jedoch unzählige weitere Protagonistinnen und Protagonisten, die z.B. aus den Bereichen Politik und Wissenschaft stammen. Durch diese multiperspektivische Erzählhaltung schafft es Robinson, viele unterschiedliche Sichtweisen und Aspekte für den Leser transparent zu machen.
Zudem lässt Robinson auch die Stimme von aktivistischen Bewegungen in den Roman einfließen, indem er die Formierung von gewalttätigem Widerstand bzw. Ökoterrorismus schildert. Dabei greift Robinson auch die Frage auf, wie weit der Widerstand gehen darf, wenn im Roman Flugzeuge durch Drohnenangriffe zum Absturz gebracht, mit Schweröl betriebene Schiffe versenkt und Unternehmensführer der fossilen Energieindustrie exekutiert werden.
Zudem vermischt Robinson exzessiv faktuales und fiktionales Erzählen, indem er auf verschiedene Art und Weise immer wieder reine Sachinformationen in die literarische Form implantiert. Dergestalt finden sich im Roman z.B. auch Protokolle aus dem Ministerium für die Zukunft oder sachbuchartige bzw. enzyklopädisch wirkende Einträge, die wichtige Aspekte des Klimawandels verdeutlichen.
Damit schafft Robinson die Chance, im Rahmen eines literarischen Textes nicht nur die Folgewirkungen des Klimawandels anzusprechen, sondern auch Möglichkeiten zur technischen und wirtschaftlichen Bewältigung des Klimawandels aufzuzeigen: Robinson nennt dabei u.a. Geo- und Climate-Engineering, Konsumverzicht, Carboncoins zur CO2-Einsparung, Stärkung von genossenschaftlichen Strukturen, integrative Landwirtschaft, datenökonomische Veränderungen etc. Sowohl der gewaltsame Druck, der von den aktivistischen Bewegungen ausgeübt wird, als auch die gerade aufgeführten Maßnahmen führen schließlich dazu, dass die CO2-Konzentration während der Jahrzehnte umspannenden Handlung des Buchs merklich abnimmt.
Robinson bezeichnet Science Fiction als „eine Sammlung von Gedankenexperimenten, die Szenarien für die Zukunft vorschlagen.“ Alle Science-Fiction-Erzählungen, so Robinson, „tragen eine implizite Geschichte in sich, die ihre Zukunft mit unserer Gegenwart verbindet. Sie sind historische Simulationen, die in der Gegenwart beginnen und dann sagen, wenn wir dies tun, kommen wir hier an, oder wenn wir jenes tun, kommen wir dort an. Es ist eine Denkweise, die in ihrem Funktionsprinzip utopisch ist, denn sie geht davon aus, dass Unterschiede in unseren Handlungen jetzt zu realen und einigermaßen vorhersagbaren Konsequenzen später führen werden – was bedeutet, dass das, was wir jetzt tun, von Bedeutung ist.“ (Heidorn/Robinson 2022, S. 212.) Es sei, so Robinson, deswegen „wichtig, dass wir uns weiterhin vorstellen, dass die Lage sich verbessern könnte, und uns darüber hinaus auch vorstellen, wie dies geschehen könnte. […] Natürlich wird es dabei Schwierigkeiten geben, aber das sind eben nur Schwierigkeiten, keine physikalischen Beschränkungen, die wir nicht überwinden könnten. Trotz Komplikationen und Schwierigkeiten ist es unsere Aufgabe, uns Wege zu überlegen, wie man diesen besseren Ort erreicht.“ (Heidorn/Robinson 2022, S. 216.)
Getrieben sind Robinsons Werke dabei – wie er selbst erklärt – von einem „angry optimism“, der dadurch gekennzeichnet ist, trotz krisenhafter Zeiten an eine wie auch immer geartete, vielleicht sogar bessere Zukunft zu glauben (vgl. de Vicente: Angry Optimism in a Drowned World: A Conversation with Kim Stanley Robinson.) In Robinsons Roman Das Ministerium für die Zukunft spiegelt sich dieser hoffnungsvolle Blick in die Zukunft vor allen Dingen in der Tatsache, dass sich die Gesellschaft trotz aller Widerstände der kommenden Katastrophe entgegenstellt und gemeinschaftlich daran arbeitet, dass die Zukunft nicht dystopisch wird. Wie die Vielstimmigkeit von Das Ministerium für die Zukunft deutlich hervorhebt, ist das Gestalten einer zukünftigen Welt nur durch das Bündeln bzw. Zusammenwirken vieler Kräfte, die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Erprobung einer Vielzahl an Ideen möglich. Der Roman zeigt damit auch auf, dass der Klimawandel nur von einer – wie auch immer gearteten – globalen Bewegung und nicht von einer Einzelperson aufgehalten werden kann. Damit setzt sich Robinson auch ab von den oftmals üblichen Heldengeschichten, in denen eine Person oder eine kleine Gruppe von Menschen die Krisen und Probleme in dieser Welt quasi im Alleingang bewältigen und damit die ganze Menschheit retten. Vielmehr spielen bei Robinson zumeist kollektivistische, aktivistische und institutionelle Handlungsaspekte eine starke Rolle. Gerade die Beschreibungen von Kollektiven, Bewegungen und Institutionen, wie sie bei Kim Stanley Robinson aufscheinen, machen deutlich, dass dort die eigentliche Kraft zur Veränderung der Verhältnisse zu liegen scheint.
Dabei lassen sich aus literarischen Zukunftsentwürfen – egal wie konkret und gegenwartsnah sie auch gestaltet sein mögen – natürlich keine direkten Handlungsanweisungen herauslesen, vielmehr besitzen sie einen spekulativen Charakter, der den Leser für die Folgen des Klimawandels sensibilisiert und ihn zugleich die Zukunft als gestaltbar und formbar erfahren lässt. Dergestalt beschreibt auch Kim Stanley Robinson die Funktion von Science-Fiction-Literatur in einem Interview mit Fritz Heidorn wie folgt: „Fiktionale Erfahrungen sind in dem Sinne reale Erfahrungen, dass sie stark genug sind, um mentale Auswirkungen zu haben. Sie fühlen sich so an, als hätte man die Dinge, von denen der Roman erzählt, erlebt. So fühlt es sich für mich an. Ganz eindeutig kann also das Schreiben von Science-Fiction, die ein Leben in noch nicht existierenden Stadien des Klimawandels schildert, Menschen dabei helfen, sich diese vorzustellen; und das könnte Verhaltensänderungen bewirken, die dann die bevorstehenden Schäden reduzieren. Ich hoffe es. Einen Versuch ist es wert. […] Für mich stellt die Rezeption von Literatur immer eine Übung dar, sich in andre hineinzuversetzen, also eine Übung, um die eigene Empathie zu steigern“ (Heidorn/Robinson 2022, S. 277.). Und genau hier liegt auch die Funktion und Stärke der literarischen Verarbeitung des Klimawandels: Die Climate Fiction erkundet einerseits die Ursachen des Klimawandels in Vergangenheit und Gegenwart, andererseits erzählt sie, welche Konsequenzen er in Zukunft haben könnte. Zugleich kann fiktionale Literatur den schwer fassbaren und latenten Prozess des Klimawandels wirklich fassbar machen, indem sie z.B. lebensnahe Situationen schildert sowie von individuellen Hoffnungen und Ängsten erzählt. Durch das Ansprechen von Emotionen und die Stärkung des Einfühlungsvermögens kann die Climate Fiction – im besten Fall – dann auch die Bereitschaft zum Handeln stärken.
„Erzählerisch ist die Klimakrise […] denkbar schwierig zu fassen“, schreiben Samira El Ouassil und Friedemann Karig in ihrem Buch Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien. Wie Geschichten unser Leben bestimmen. Denn: „Sie [die Klimakrise] ist menschengemacht, aber kollektiv, nicht die Schuld eines Bösewichts oder einer kriminellen Bande, sondern begründet in einer destruktiven Hegemonie des Menschen über die Natur. Keine Verirrung einer kranken Zeit, sondern über Jahrhunderte gewachsen.“ (El Ouassil/Karig 2023, S. 399.) Damit ist der Literatur bei der Beschreibung des Klimawandels zwangsläufig jegliche Grundlage entzogen, um eine spannende Erzählung mit Helden und ihren Antagonisten zu entwerfen. Lösen lässt sich dieses Problem, so El Ouassil und Karig, „auf jeden Fall nur kollektiv. Als glaubhafte Helden taugen am ehesten die Agenten positiver gesellschaftlicher Kipppunkte hin zu einer nachhaltigeren Welt (Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Aktivistinnen).“ (Ebd., S. 400) Wie eine solche wissenschaftlich fundierte, kollektivistische und zugleich aktivistisch geprägte Erzählweise aussehen könnte, zeigt u.a. der Roman Das Ministerium für die Zukunft (erschienen im Original 2020) des amerikanischen Autors Kim Stanley Robinson.
Robinsons Romane und Erzählungen sind schon seit Anbeginn seiner schriftstellerischen Karriere immer wieder davon geprägt, die Auswirkungen des Klimawandels zu schildern: Dergestalt beschreibt er in seiner sogenannten Orange Country-Trilogie, die aus den Romanen Das Wilde Ufer (1984), Goldküste (1988) und Pazifische Grenze (1990) besteht, mögliche Zukünfte des Staates Kalifornien, die von einer post-apokalyptischen bzw. dystopischen bis hin zu einer utopischen Entwicklung reichen. Waren Robinsons frühe Werke noch von einer konventionelleren Schreibweise geprägt, hat er in den letzten Jahren eine ganz einzigartige und neuartige Form der literarischen Beschreibung des Klimawandel entwickelt: In beiden Romanen, sowohl in New York 2140 (erschienen im Original 2017) als auch besonders in Das Ministerium für die Zukunft entwirft Robinson ein vielstimmiges Textgeflecht, das aus einer großen Anzahl an Erzählperspektiven und Schreibweisen besteht. Dergestalt vermengt Robinson in Das Ministerium für die Zukunft Wissen und Literatur, um viele Sichtweisen und Sachinformationen aufzeigen zu können: Tragende Hauptfiguren des Romans sind sowohl Mary Murphy, Leiterin des sogenannten Ministeriums für die Zukunft, das 2025 von den Vereinten Nationen in Zürich gegründet wird, als auch der Entwicklungshelfer Frank May, einziger Überlebender einer Hitzewelle in Indien. Hinzu treten im Laufe der Handlung jedoch unzählige weitere Protagonistinnen und Protagonisten, die z.B. aus den Bereichen Politik und Wissenschaft stammen. Durch diese multiperspektivische Erzählhaltung schafft es Robinson, viele unterschiedliche Sichtweisen und Aspekte für den Leser transparent zu machen.
Zudem lässt Robinson auch die Stimme von aktivistischen Bewegungen in den Roman einfließen, indem er die Formierung von gewalttätigem Widerstand bzw. Ökoterrorismus schildert. Dabei greift Robinson auch die Frage auf, wie weit der Widerstand gehen darf, wenn im Roman Flugzeuge durch Drohnenangriffe zum Absturz gebracht, mit Schweröl betriebene Schiffe versenkt und Unternehmensführer der fossilen Energieindustrie exekutiert werden.
Zudem vermischt Robinson exzessiv faktuales und fiktionales Erzählen, indem er auf verschiedene Art und Weise immer wieder reine Sachinformationen in die literarische Form implantiert. Dergestalt finden sich im Roman z.B. auch Protokolle aus dem Ministerium für die Zukunft oder sachbuchartige bzw. enzyklopädisch wirkende Einträge, die wichtige Aspekte des Klimawandels verdeutlichen.
Damit schafft Robinson die Chance, im Rahmen eines literarischen Textes nicht nur die Folgewirkungen des Klimawandels anzusprechen, sondern auch Möglichkeiten zur technischen und wirtschaftlichen Bewältigung des Klimawandels aufzuzeigen: Robinson nennt dabei u.a. Geo- und Climate-Engineering, Konsumverzicht, Carboncoins zur CO2-Einsparung, Stärkung von genossenschaftlichen Strukturen, integrative Landwirtschaft, datenökonomische Veränderungen etc. Sowohl der gewaltsame Druck, der von den aktivistischen Bewegungen ausgeübt wird, als auch die gerade aufgeführten Maßnahmen führen schließlich dazu, dass die CO2-Konzentration während der Jahrzehnte umspannenden Handlung des Buchs merklich abnimmt.
Robinson bezeichnet Science Fiction als „eine Sammlung von Gedankenexperimenten, die Szenarien für die Zukunft vorschlagen.“ Alle Science-Fiction-Erzählungen, so Robinson, „tragen eine implizite Geschichte in sich, die ihre Zukunft mit unserer Gegenwart verbindet. Sie sind historische Simulationen, die in der Gegenwart beginnen und dann sagen, wenn wir dies tun, kommen wir hier an, oder wenn wir jenes tun, kommen wir dort an. Es ist eine Denkweise, die in ihrem Funktionsprinzip utopisch ist, denn sie geht davon aus, dass Unterschiede in unseren Handlungen jetzt zu realen und einigermaßen vorhersagbaren Konsequenzen später führen werden – was bedeutet, dass das, was wir jetzt tun, von Bedeutung ist.“ (Heidorn/Robinson 2022, S. 212.) Es sei, so Robinson, deswegen „wichtig, dass wir uns weiterhin vorstellen, dass die Lage sich verbessern könnte, und uns darüber hinaus auch vorstellen, wie dies geschehen könnte. […] Natürlich wird es dabei Schwierigkeiten geben, aber das sind eben nur Schwierigkeiten, keine physikalischen Beschränkungen, die wir nicht überwinden könnten. Trotz Komplikationen und Schwierigkeiten ist es unsere Aufgabe, uns Wege zu überlegen, wie man diesen besseren Ort erreicht.“ (Heidorn/Robinson 2022, S. 216.)
Getrieben sind Robinsons Werke dabei – wie er selbst erklärt – von einem „angry optimism“, der dadurch gekennzeichnet ist, trotz krisenhafter Zeiten an eine wie auch immer geartete, vielleicht sogar bessere Zukunft zu glauben (vgl. de Vicente: Angry Optimism in a Drowned World: A Conversation with Kim Stanley Robinson.) In Robinsons Roman Das Ministerium für die Zukunft spiegelt sich dieser hoffnungsvolle Blick in die Zukunft vor allen Dingen in der Tatsache, dass sich die Gesellschaft trotz aller Widerstände der kommenden Katastrophe entgegenstellt und gemeinschaftlich daran arbeitet, dass die Zukunft nicht dystopisch wird. Wie die Vielstimmigkeit von Das Ministerium für die Zukunft deutlich hervorhebt, ist das Gestalten einer zukünftigen Welt nur durch das Bündeln bzw. Zusammenwirken vieler Kräfte, die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Erprobung einer Vielzahl an Ideen möglich. Der Roman zeigt damit auch auf, dass der Klimawandel nur von einer – wie auch immer gearteten – globalen Bewegung und nicht von einer Einzelperson aufgehalten werden kann. Damit setzt sich Robinson auch ab von den oftmals üblichen Heldengeschichten, in denen eine Person oder eine kleine Gruppe von Menschen die Krisen und Probleme in dieser Welt quasi im Alleingang bewältigen und damit die ganze Menschheit retten. Vielmehr spielen bei Robinson zumeist kollektivistische, aktivistische und institutionelle Handlungsaspekte eine starke Rolle. Gerade die Beschreibungen von Kollektiven, Bewegungen und Institutionen, wie sie bei Kim Stanley Robinson aufscheinen, machen deutlich, dass dort die eigentliche Kraft zur Veränderung der Verhältnisse zu liegen scheint.
Dabei lassen sich aus literarischen Zukunftsentwürfen – egal wie konkret und gegenwartsnah sie auch gestaltet sein mögen – natürlich keine direkten Handlungsanweisungen herauslesen, vielmehr besitzen sie einen spekulativen Charakter, der den Leser für die Folgen des Klimawandels sensibilisiert und ihn zugleich die Zukunft als gestaltbar und formbar erfahren lässt. Dergestalt beschreibt auch Kim Stanley Robinson die Funktion von Science-Fiction-Literatur in einem Interview mit Fritz Heidorn wie folgt: „Fiktionale Erfahrungen sind in dem Sinne reale Erfahrungen, dass sie stark genug sind, um mentale Auswirkungen zu haben. Sie fühlen sich so an, als hätte man die Dinge, von denen der Roman erzählt, erlebt. So fühlt es sich für mich an. Ganz eindeutig kann also das Schreiben von Science-Fiction, die ein Leben in noch nicht existierenden Stadien des Klimawandels schildert, Menschen dabei helfen, sich diese vorzustellen; und das könnte Verhaltensänderungen bewirken, die dann die bevorstehenden Schäden reduzieren. Ich hoffe es. Einen Versuch ist es wert. […] Für mich stellt die Rezeption von Literatur immer eine Übung dar, sich in andre hineinzuversetzen, also eine Übung, um die eigene Empathie zu steigern“ (Heidorn/Robinson 2022, S. 277.). Und genau hier liegt auch die Funktion und Stärke der literarischen Verarbeitung des Klimawandels: Die Climate Fiction erkundet einerseits die Ursachen des Klimawandels in Vergangenheit und Gegenwart, andererseits erzählt sie, welche Konsequenzen er in Zukunft haben könnte. Zugleich kann fiktionale Literatur den schwer fassbaren und latenten Prozess des Klimawandels wirklich fassbar machen, indem sie z.B. lebensnahe Situationen schildert sowie von individuellen Hoffnungen und Ängsten erzählt. Durch das Ansprechen von Emotionen und die Stärkung des Einfühlungsvermögens kann die Climate Fiction – im besten Fall – dann auch die Bereitschaft zum Handeln stärken.
Quellen:
de Vicente, José Luis: Angry Optimism in a Drowned World: A Conversation with Kim Stanley Robinson. In: https://lab.cccb.org/ en/angry-optimism-in-a-drow- ned-world-a-conversation-with- kim-stanley-robinson/ (letzter Zugriff: 10.11.2023).
El Ouassil, Samira/Karig, Friedemann: Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien. Wie Ge- schichten unser Leben bestimmen. Erweiterte Taschenbuchausgabe. Berlin 2023.
Heidorn, Fritz/ Robinson, Kim Stanley: Kim Stanley Robinson. Erzähler des Klimawandels. Berlin 2022.
Robinson, Kim Stanley: Das Ministerium für die Zukunft. München 2021.
de Vicente, José Luis: Angry Optimism in a Drowned World: A Conversation with Kim Stanley Robinson. In: https://lab.cccb.org/ en/angry-optimism-in-a-drow- ned-world-a-conversation-with- kim-stanley-robinson/ (letzter Zugriff: 10.11.2023).
El Ouassil, Samira/Karig, Friedemann: Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien. Wie Ge- schichten unser Leben bestimmen. Erweiterte Taschenbuchausgabe. Berlin 2023.
Heidorn, Fritz/ Robinson, Kim Stanley: Kim Stanley Robinson. Erzähler des Klimawandels. Berlin 2022.
Robinson, Kim Stanley: Das Ministerium für die Zukunft. München 2021.