Von Ralph Köhnen
Februar 2024
Februar 2024
Berlin war nicht immer Deutschlands Kulturhauptstadt. Denn es gab Zeiten, in denen sich das kulturelle Leben viel weiter westlich abspielte. Da war Köln dann die heimliche Hauptstadt, d.h. „mehr als die traditionsreiche Dom-, Römer und Kölsch- Stadt. Und mehr als die Karnevalshochburg, Heimat des 1. FC oder Hauptstadt der deutschen Comedy und der Mundart- Musik.“ (S. 18)
Das behauptet zumindest ein Buch, das gerade im Verlag Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienen ist und von Gisa Funck und Gregor Schwering geschrieben wurde: Wir waren hochgemute Nichtskönner. Die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980– 1995. Der ironische, aber auch Ambitionen bergende Titel ist Programm, insofern das Buch zeigen kann, wie sich die äußerst lebendige und für kurze Zeit auch weltweit bedeutende Kölner Szene nicht zuletzt aus einer Revolte speiste, deren Credo ‚Do it Yourself‘ hieß. Gemeint ist die Ende der 1970er Jahre aus England und den USA nach Europa schwappende Punkwelle, die jene kreativen Räume öffnete, in denen nicht länger Spezialistentum und Virtuosität, sondern Innovation, Leidenschaft und Frechheit siegten: Es kam darauf an, die richtigen Ideen zu haben und nicht darauf, besonders versiert oder gar professionell abgezockt zu sein.
Ein Konzert von Joy Division im Januar 1980 wird hier zum Fanal einer Aufbruchskultur, die selbstbewusst dem Alltag seine Krisen abgewinnt und daraus Inspiration und Tempo schöpft. Das gilt sowohl für die in Köln sich um 1980 formierende Künstlergruppe Mülheimer Freiheit als auch für die Bands, die im Keller der zunächst besetzten, dann zum Kulturzentrum ausgebauten ehemaligen Schokoladenfabrik Stollwerck ihre Proberäume hatten. Und es gilt für die Macher des Musikzeitmagazins SPEX, das ebenfalls 1980 gründet wurde und dessen prägende Rolle zwischen Trends und Diskursmanifest bis hin zur Arbeit an den entstehenden Kulturwissenschaften sehr schön beleuchtet wird. Allen gemeinsam ist ein Siegeszug, der sich von Köln aus auf ganz Deutschland sowie in Teilen auch über den Globus hinweg ausweiten sollte – was mit Anbindungen an kulturwissenschaftliche Diskussionen erzählt wird.
Diese Erfolgsstory erzählt das Buch nun in vier Kapiteln, die sich nach dem deutschlandweit einflussreichen SPEX-Magazin dem weltweit geachteten Sound of Cologne als Spielart elektronischer Musik sowie der international anerkannten Kunstszene dieser Zeit widmen. Flankiert werden diese Geschichten durch das Porträt jener Nacht-, Club- und Kneipenwelt, die als Versammlungsort und Think-Tank der wohl letzten vordigitalen Bohème für diese von immenser Bedeutung war. Dabei verfährt das Buch nicht immer linear historisch aufarbeitend, sondern räumt den O-Tönen der Beteiligten breiten Raum ein: Sie berichten vom Zeitgeist jener Jahre, von intensiver Arbeit, produktiven Irritationen und plötzlichen Erfolgen, von Festen und ewig langen Nächten, aber auch von den Schattenseiten, den Niederlagen und Irrwegen, die ebenfalls dazu gehörten. Begleitet wird diese Kombination aus historisch orientierendem Rückblick und anschaulicher Oral History durch eine autofiktionale Ebene, die weite Teile des Buchs wie ein roter Faden durchzieht und dessen Thematik nochmals aus der Ich-Perspektive lebendig werden lässt. In diesem Sinne will das Buch „eben nicht bloß Fakten liefern, sondern den Text leibhaftig oder plastisch machen, die Leser mit Bildern füttern. Wie ein TV-Doku.“ (S. 184f.) Es ist leibhaftige Erzählung eines kulturellen Wandels, von zwei Experten beglaubigt – sie zeigt, wie aus dem kritischen Diskurs die etablierte Welt einer ‚Popintelligenzia‘ wird, bei der auch dann arrivierte Autoren wie Rainald Goetz mitmischen. Gelegentliche Anbindungen an die hohe Politik machen den Mainstream-Schritt der 80er Jahre vom sozial(istisch)en Aufbruch zum neoliberalen Durchstarten deutlich, gespiegelt in den teils irrlichternden Positionen von SPEX.
In dieser intensiv teilnehmenden Beobachtung ist „eine herbeierzählte Wahrheit … ‚wahrer‘ als eine Aufzählung nüchterner Fakten“, wie der Klappentext behauptet, und es entsteht das faszinierende Bild einer Stadt und Zeit ohne Smartphone und soziale Medien, in der das TV-Programm um 24 Uhr mit der Lesung eines Gedichts durch Hans-Joachim Kulenkampff endete und dennoch, vielleicht deswegen alles in Bewegung war.
Es finden sich im Buch nicht nur Insider-Perspektiven, sondern detaillierte wie humoristische Darstellungen. Auf wunderbar leicht erzählte, aber auch praktisch befestigte und zugleich theoretische sattelfeste Weise bieten sie vor allem eines: fundierte Kulturgeschichte im Unterhaltungston, womit der topographical turn überzeugend und mit viel Leben gefüllt wird. Und dies zeigt: Es muss nicht immer Berlin sein. Ihre kulturelle Stärke und Vielfalt hat die Bundesrepublik aus ihren vielen Zentren wie aus Kraftzellen bezogen – wovon Köln freilich eine prominente ist. Bücher über die ‚Electric city‘ Düsseldorf gab es schon, nun gibt es Köln – das Ruhrgebiet wartet noch auf eine gültige Underground- und Pop-Kulturgeschichte.
Das behauptet zumindest ein Buch, das gerade im Verlag Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienen ist und von Gisa Funck und Gregor Schwering geschrieben wurde: Wir waren hochgemute Nichtskönner. Die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980– 1995. Der ironische, aber auch Ambitionen bergende Titel ist Programm, insofern das Buch zeigen kann, wie sich die äußerst lebendige und für kurze Zeit auch weltweit bedeutende Kölner Szene nicht zuletzt aus einer Revolte speiste, deren Credo ‚Do it Yourself‘ hieß. Gemeint ist die Ende der 1970er Jahre aus England und den USA nach Europa schwappende Punkwelle, die jene kreativen Räume öffnete, in denen nicht länger Spezialistentum und Virtuosität, sondern Innovation, Leidenschaft und Frechheit siegten: Es kam darauf an, die richtigen Ideen zu haben und nicht darauf, besonders versiert oder gar professionell abgezockt zu sein.
Ein Konzert von Joy Division im Januar 1980 wird hier zum Fanal einer Aufbruchskultur, die selbstbewusst dem Alltag seine Krisen abgewinnt und daraus Inspiration und Tempo schöpft. Das gilt sowohl für die in Köln sich um 1980 formierende Künstlergruppe Mülheimer Freiheit als auch für die Bands, die im Keller der zunächst besetzten, dann zum Kulturzentrum ausgebauten ehemaligen Schokoladenfabrik Stollwerck ihre Proberäume hatten. Und es gilt für die Macher des Musikzeitmagazins SPEX, das ebenfalls 1980 gründet wurde und dessen prägende Rolle zwischen Trends und Diskursmanifest bis hin zur Arbeit an den entstehenden Kulturwissenschaften sehr schön beleuchtet wird. Allen gemeinsam ist ein Siegeszug, der sich von Köln aus auf ganz Deutschland sowie in Teilen auch über den Globus hinweg ausweiten sollte – was mit Anbindungen an kulturwissenschaftliche Diskussionen erzählt wird.
Diese Erfolgsstory erzählt das Buch nun in vier Kapiteln, die sich nach dem deutschlandweit einflussreichen SPEX-Magazin dem weltweit geachteten Sound of Cologne als Spielart elektronischer Musik sowie der international anerkannten Kunstszene dieser Zeit widmen. Flankiert werden diese Geschichten durch das Porträt jener Nacht-, Club- und Kneipenwelt, die als Versammlungsort und Think-Tank der wohl letzten vordigitalen Bohème für diese von immenser Bedeutung war. Dabei verfährt das Buch nicht immer linear historisch aufarbeitend, sondern räumt den O-Tönen der Beteiligten breiten Raum ein: Sie berichten vom Zeitgeist jener Jahre, von intensiver Arbeit, produktiven Irritationen und plötzlichen Erfolgen, von Festen und ewig langen Nächten, aber auch von den Schattenseiten, den Niederlagen und Irrwegen, die ebenfalls dazu gehörten. Begleitet wird diese Kombination aus historisch orientierendem Rückblick und anschaulicher Oral History durch eine autofiktionale Ebene, die weite Teile des Buchs wie ein roter Faden durchzieht und dessen Thematik nochmals aus der Ich-Perspektive lebendig werden lässt. In diesem Sinne will das Buch „eben nicht bloß Fakten liefern, sondern den Text leibhaftig oder plastisch machen, die Leser mit Bildern füttern. Wie ein TV-Doku.“ (S. 184f.) Es ist leibhaftige Erzählung eines kulturellen Wandels, von zwei Experten beglaubigt – sie zeigt, wie aus dem kritischen Diskurs die etablierte Welt einer ‚Popintelligenzia‘ wird, bei der auch dann arrivierte Autoren wie Rainald Goetz mitmischen. Gelegentliche Anbindungen an die hohe Politik machen den Mainstream-Schritt der 80er Jahre vom sozial(istisch)en Aufbruch zum neoliberalen Durchstarten deutlich, gespiegelt in den teils irrlichternden Positionen von SPEX.
In dieser intensiv teilnehmenden Beobachtung ist „eine herbeierzählte Wahrheit … ‚wahrer‘ als eine Aufzählung nüchterner Fakten“, wie der Klappentext behauptet, und es entsteht das faszinierende Bild einer Stadt und Zeit ohne Smartphone und soziale Medien, in der das TV-Programm um 24 Uhr mit der Lesung eines Gedichts durch Hans-Joachim Kulenkampff endete und dennoch, vielleicht deswegen alles in Bewegung war.
Es finden sich im Buch nicht nur Insider-Perspektiven, sondern detaillierte wie humoristische Darstellungen. Auf wunderbar leicht erzählte, aber auch praktisch befestigte und zugleich theoretische sattelfeste Weise bieten sie vor allem eines: fundierte Kulturgeschichte im Unterhaltungston, womit der topographical turn überzeugend und mit viel Leben gefüllt wird. Und dies zeigt: Es muss nicht immer Berlin sein. Ihre kulturelle Stärke und Vielfalt hat die Bundesrepublik aus ihren vielen Zentren wie aus Kraftzellen bezogen – wovon Köln freilich eine prominente ist. Bücher über die ‚Electric city‘ Düsseldorf gab es schon, nun gibt es Köln – das Ruhrgebiet wartet noch auf eine gültige Underground- und Pop-Kulturgeschichte.
Gisa Funck/Gregor Schwering: Wir waren hochgemute Nichtskönner. Die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980–1995.
Kiepenheuer & Witsch, Nov. 2023
352 S., 28,- €
Kiepenheuer & Witsch, Nov. 2023
352 S., 28,- €